Rechtsunsicherheit durch EU-Recht: Die neue EU-Erbrechtsverordnung, Beispiel Anlageberatung und Versicherung

Abschnitt A: Die EU-Erbrechtsverordnung im Anlageberatungs- und Versicherungsbereich

Berater im Kapitalanlage- und Versicherungsbereich haben die Aufgabe, ihre Kunden bestmöglich vor Rechtsunsicherheit zu bewahren. Ein beachtenswertes Risiko ist jedem Erbfall immanent, denn bei einer unklaren Erbsituation ist häufig nicht unmittelbar festzustellen, wer Rechtsnachfolger für eine Kapitalanlage oder neuer Adressat des Versicherungsvertrages ist. Kann es bereits bei Erbfällen mit rein nationalem Bezug zu vielfältigen Problemen kommen, hat nunmehr die EU mit der EU-Erbrechtsverordnung eine Regelung eingeführt, die einen überwiegenden Teil der zukünftigen Erbfälle in Deutschland betrifft und diese Rechtsunsicherheit vertieft. Berater sind deshalb dazu aufgerufen, ihre Kunden auf diesen Gesichtspunkt hinzuweisen.

Abschnitt B: Die Bedeutung der EU-Erbrechtsverordnung für Erbfälle deutscher Kunden

Ein Gesetzgeber hat in allen Rechtsgebieten unterschiedliche Möglichkeiten, die Anwendbarkeit seines Gesetzes zu begründen. Im Erbrecht kennen nationale Erbrechtsordnungen hierfür drei unterschiedliche Kriterien, die zum Teil miteinander kombiniert werden:

Die Staatsangehörigkeit des Erblassers (Deutschland) Den letzten Wohnsitz des Erblassers (Schweiz) Die Belegenheit einer Immobilie (einzelne Bundesstaaten der US, z. B. Florida) Treffen diese Sachverhalte aufeinander, kollidieren nationale Erbrechte miteinander.

Beispiel: Ein deutscher Staatsangehöriger hat seinen letzten Wohnsitz in der Schweiz und verfügt über Immobilienvermögen in Florida. In diesem Fall werden grundsätzlich Deutschland und die Schweiz von der Anwendung ihres Erbrechts ausgehen, Florida jedenfalls für das dort belegene Immobilienvermögen. Anders als im Erbschaftssteuerrecht fehlen in den meisten Fällen staatsvertragliche Regelungen (Doppelbesteuerungsabkommen). Das heißt, dass solche Erbfälle zum Teil über Jahre ungeklärt bleiben. Dies wirkt sich dann auf die oben beschriebene Risikosituation für Kapitalanlagen und Versicherungsverträge aus. Die EU hat zum 16.08.2012 und mit Wirkung für Erbfälle ab dem 17.08.2015 eine sog. EU-Erbrechtsverordnung erlassen, um dieses Kollisionsproblem jedenfalls innerhalb der EU zu begrenzen. Art.21 Abs.1 der EU-Erbrechtsverordnung regelt hierzu folgendes: „Sofern in dieser Verordnung nichts anderes vorgesehen ist, unterliegt die gesamte Rechtsnachfolge von Todes wegen dem Recht des Staates, in dem der Erblasser im Zeitpunkt seines Todes seinen gewöhnlichen Aufenthalt hatte.“ Ein Beratungshinweis ist mit Blick auf diese Situation insbesondere aus zwei Gründen notwendig: Ein rechtlicher Laie geht regelmäßig davon aus, dass für ihn als Deutschen deutsches Erbrecht Anwendung findet. Diese Aussage ist mit Blick auf die EU-Erbrechtsverordnung nicht mehr zutreffend, da es auf das Kriterium der Staatsangehörigkeit nicht mehr ankommt. Der Kunde muss mit Blick auf den Begriff des „gewöhnlichen Aufenthalts“ sensibilisiert werden. Unklar ist beispielsweise, ob längere Urlaubsaufenthalte oder berufsbedingte Auslandsaufenthalte bereits einen „gewöhnlichen Aufenthalt“ darstellen.

Die Folgen der EU-Erbrechtsverordnung verdeutlichen drei Beispiele. Beispiel 1: Ein Kunde „überwintert“ dauerhaft und jedes Jahr vier Monate in Spanien. Beispiel 2: Eine Kunde zieht beruflich bedingt in die Niederlande. Eine Rückkehr ist zeitlich unklar. Beispiel 3:

Ein Kunde wird in ein Pflegeheim zur dauerhaften Pflege nach Österreich verlegt. In den drei benannten Beispielen ist es möglich, dass im Falle des Versterbens des Kunden das dortige nationale Erbrecht Anwendung findet. Umgekehrt ist bei Kunden mit ausländischer EU-Staatsangehörigkeit darauf hinzuweisen, dass mit Blick auf einen gewöhnlichen Aufenthalt in Deutschland deutsches Erbrecht anwendbar ist.

Abschnitt C: Die Anwendung ausländischen Erbrechts auf Erbfälle in Deutschland

Für den Fall, dass das Erbrecht eines anderen EU-Landes Anwendung findet, wirkt sich dies in zahlreichen Sachverhalten aus: Das gesetzliche Erbrecht kann von der deutschen Regelung abweichen und zwar beispielsweise bezüglich des Personenkreises der gesetzlichen Erben und bei deren Quoten. Eine deutsche Besonderheit ist eine Quotenerhöhung zugunsten des überlebenden Ehepartners im Rahmen einer Zugewinngemeinschaft. Dies ist anderen Erbrechtsordnungen fremd. Die jeweiligen Erbrechtsverordnungen unterscheiden sich auch dahingehend, welche Testamentsformen überhaupt möglich sind. Viele EU-Länder kennen beispielsweise das sog. Ehegattentestament (Berliner Testament) nicht und würden dieses als formunwirksam erachten, ebenso den in Deutschland zulässigen Erbvertrag. Auch das Pflichtteilsrecht als wichtiger Teil des deutschen Erbrechts ist in einigen EU-Ländern nicht anerkannt, sodass bei der Anwendung des dortigen Erbrechts enterbten Kindern keinen Pflichtteilsanspruch zusteht. Viele Gestaltungsmittel des deutschen Erbrechts sind ausländischen Erbrechtsordnungen fremd, sodass eine Regelung in einem deutschen Testament nicht deckungsgleich bei Anwendung eines anderen Erbrechts übernommen werden kann, beispielsweise die Testamentsvollstreckung oder eine Vermächtniseinsetzung. Ebenso wird in den beschriebenen Sachverhalten die Abwicklung des Erbfalls über die Nachlassgerichte stark erschwert, da diese ausländisches Recht viel umfangreicher prüfen müssen als bisher. Dies verzögert die Erteilung eines Erbscheins nach deutschem Recht.

Abschnitt D: Zusammenfassung

Die dargestellte Situation ist real und erfordert eine am Einzelfall ausgerichtete Rechtsberatung. Eine gestaltende Regelung im Vorfeld ermöglicht es, eine spätere Rechtsunsicherheit zu vermeiden. Die EU-Erbrechtsverordnung eröffnet zugleich interessante Gestaltungsmöglichkeiten zugunsten des Erblassers. Berater im Kapitalanlage- und Versicherungsbereich können für ihre Kunden einen echten Mehrwert schaffen, wenn sie auf die EU-Erbrechtsverordnung und das dortige Risikoszenario hinweisen. Hierdurch werden zugleich Abwicklungsprobleme im Bereich von Kapitalanlagen und Versicherungsverträgen vermieden.

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